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Gewaltfreier Anarchismus

Gewaltfreier Anarchismus
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ISBN: 978-3-939045-30-4
GTIN/EAN: 9783939045304
Verlage: Graswurzelrevolution
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Gewaltfreier Anarchismus & anarchistischer Pazifismus
Auf den Spuren einer revolutionären Theorie und Bewegung

Von Sebastian Kalicha. Illustrationen von Daniel Grunewald

Nettersheim: Verlag Graswurzelrevolution, 2017. Kartoniert, 278 Seiten, 65 Abbildungen, ISBN 978-3939045304.

Beschreibung:

In der facettenreichen Welt des Anarchismus spielt seit jeher auch der gewaltfreie Anarchismus und anarchistische Pazifismus eine Rolle. Was aber zeichnet diese spezifische anarchistische Strömung aus? Was sind die Grundlagen gewaltfrei-anarchistischer Theorie? Welche Persönlichkeiten haben diese Tradition des Anarchismus geprägt und welchen Einfluss hatte und hat sie auf emanzipatorische Protestbewegungen und auf anarchistischen, antimilitaristischen sowie gewaltfrei-revolutionären Aktivismus?

All diese Fragen und noch viele weitere Aspekte des gewaltfreien Anarchismus und anarchistischen Pazifismus werden in dieser illustrierten Einführung eingehend behandelt. Es wird ein weiter Bogen gespannt von der Theorie zur Praxis, von der Geschichte zur Gegenwart und von der biografischen Betrachtung zur Bewegungsgeschichte in dem Bestreben, ein umfassendes Bild und eine kohärente Analyse dieser anarchistischen Strömung zu liefern.

Einleitung

1. Gewaltfreier Anarchismus & anarchistischer Pazifismus – theoretische Grundlagen

1.1 Grundzüge gewaltfrei-anarchistischer Theorie

  • Ziel-Mittel-Relation
  • Vorwegnehmende Politik
  • Anarchistische Gewaltkritik
  • Anarchistische Herrschaftskritik
  • Soziale Revolution
  • Gewaltfreie Revolution
  • Revolutionäre soziale Verteidigung von unten

1.2 Anarchismus, Gewalt und Gewaltfreiheit

1.3 Zu den Begrifflichkeiten

  • Pazifismus
  • Antimilitarismus
  • Anarchistischer Pazifismus/Anarchopazifismus
  • Gewaltfreier/gewaltloser Anarchismus

1.4 Was ist gewaltfreie Aktion – und was nicht?

2. Gewaltfreie AnarchistInnen und anarchistische PazifistInnen im Porträt

Étienne de La Boétie // William Godwin // Henry David Thoreau // Mohandas K. Gandhi // Leo Tolstoi // Eugen Heinrich Schmitt // Gustav Landauer // Benjamin Tucker // Ferdinand Domela Nieuwenhuis // Clara Wichmann // Henriëtte Roland Holst // Pierre Ramus // Olga Misar // Franz Prisching // Margarethe Hardegger // Fritz Oerter // Franz Barwich // Augustin Souchy // Ernst Friedrich // Bart de Ligt // Hem Day // Amparo Poch y Gascón // José Brocca // Martin Buber // Mahmud Muhammad Taha // Simone Weil // Jacques Ellul // Albert Camus // Rirette Maîtrejean // Han Ryner // Marie Kugel // Maria Lacerda de Moura // Madeleine Vernet // Lilian Wolfe // Bertrand Russell // George Woodcock // Aldous Huxley // Herbert Read // Nicolas Walter // Ethel Mannin // Alex Comfort // Geoffrey Ostergaard // Dorothy Day // Ammon Hennacy // A.J. Muste // David Dellinger // Dwight Macdonald // Paul Goodman // Howard Clark // Judi Bari // Howard Zinn // Kurt Vonnegut // Utah Phillips // Judith Malina

3. Gewaltfreier Anarchismus und anarchistischer Pazifismus als libertäre Strömung und ihr Einfluss auf anarchistische, soziale und widerständige Bewegungen, Gruppen und Projekte

Antimilitaristische Liga // No Conscription League // Anti-Conscription League // Passive Resisters‘ Union // Internationale Anti-Militaristische Vereniging // Internationale Antimilitaristische Kommission // Anarchosyndikalismus // Freie Arbeiter-Union Deutschlands (FAUD) // Der Syndikalist //Syndikalistischer Frauenbund // Industrial Workers of the World (IWW) // Bund herrschaftsloser Sozialisten // Erkenntnis und Befreiung // Wohlstand für Alle // Tolstoianismus // Ketzer // G. Winstanley // Diggers // P. Chelcický // New England Non-Resistance Society // W.L. Garrison // A. Ballou //Sarvodaya-Bewegung // Committee of 100 // Spies for Peace // War Resisters‘ International (WRI) // Peace News // War Resisters League (WRL) //KDV-Bewegung USA // Committee for Nonviolent Revolution // Peacemakers // Liberation // Catholic-Worker-Bewegung // P. Maurin // Student Nonviolent Coordinating Committee (SNCC) // Movement for a New Society // Provo-Bewegung // Kabouter-Bewegung // AnarchistInnen in der DDR-Opposition // Föderation Gewaltfreier Aktionsgruppen (FöGA) // Graswurzelrevolution (GWR) // Anti-AKW-Bewegung // Action civique non-violente (ACNV) // Anarchisme et Non-Violence // Pflugscharbewegung // Antiglobalisierungsbewegung // Peoples‘ Global Action // Direct Action Network // Padded Block // Las Abejas // Feldbefreiungsbewegung // Larzac // Occupy-Bewegung // Kreativer Widerstand und Straßenprotest // Hacktivismus // Anarchists Against the Wall (AATW) // Food Not Bombs // Animal Liberation Front (ALF) // Earth Liberation Front (ELF) // Earth First! // Straight Edge // Positive hardcore // Musik // Anarchopunk // Crass

Bibliografie

Einleitung

Der gewaltfreie Anarchismus und anarchistische Pazifismus/Anarchopazifismus (1) tritt in Geschichte und Gegenwart als eigenständige Strömung und Tradition in der heterogenen anarchistischen Bewegung immer wieder in Erscheinung, auch wenn er möglicherweise stärker als andere Subströmungen gesucht werden und noch eingehender separat erforscht werden muss. Doch rigide Trennlinien zu ziehen ist im undogmatisch ausgerichteten Anarchismus eher unüblich und so vermischt sich der gewaltfreie Anarchismus, wie andere spezifische Ausrichtungen im Anarchismus auch, oftmals mit anderen anarchistischen Strömungen. Die Querverbindungen sind zahlreich und so finden wir beispielsweise gewaltfreie AnarchistInnen und anarchistische PazifistInnen, die sich gleichzeitig auch als AnarchosyndikalistInnen, Anarchafeministinnen, Öko-/Grüne-AnarchistInnen, christliche AnarchistInnen, individualistische oder kommunistische AnarchistInnen verstehen und verstanden. Dies deutet ebenfalls darauf hin, dass jene Aspekte, die den gewaltfreien Anarchismus ausmachen, letztendlich – mal mehr, mal weniger – durchaus auch in den allermeisten anarchistischen Strömungen zu finden sind: eine Verbindung des Anarchismus mit gewaltfreier Revolutions- und Aktionstheorie, eine kritische Reflexion zu revolutionärer Aktion und dem damit einhergehenden Verhältnis von Mitteln und Zielen, vorwegnehmende Politik auch in der Frage der Gewalt sowie eine Analyse von Gewalt als Herrschaftsmittel und von Herrschaft und Ausbeutung als Form der (strukturellen) Gewalt.

Geografische Faktoren scheinen ebenfalls eine Rolle zu spielen, will man den gewaltfreien Anarchismus erforschen. So gab es historisch starke gewaltfrei-anarchistische Bewegungen insbesondere in Ländern wie den Vereinigten Staaten, Großbritannien und den Niederlanden (2), aber auch in Deutschland und Österreich. Ebenfalls berücksichtigt werden sollte, dass sich im gewaltfreien Anarchismus bis zu einem bestimmten Grad unterschiedliche sozialrevolutionäre Traditionen treffen und vermengen – nämlich alte „Ketzer“-Traditionen, Konzepte des „utopischen“ Sozialismus, jene der libertär-sozialistischen Arbeiter- und Gewerkschaftsbewegung seit der Ersten Internationale, des (revolutionären) Pazifismus, des Antimilitarismus sowie der Theorie und Praxis der (oftmals gandhianisch inspirierten) gewaltfreien Aktion. Auch diese Überschneidungen erschweren es manchmal, die gewaltfrei-anarchistische Idee aufzuspüren, weil man eben nicht nur nach einem „Label“ Ausschau halten, sondern sich vorwiegend mit Inhalten und Positionen beschäftigen muss.

Obwohl Gewaltkritik bei vielen AnarchistInnen notwendigerweise eine Rolle spielt – schon alleine deshalb, weil sie als Aspekt anarchistischer Herrschaftskritik betrachtet werden muss -, so gibt es zu dem Thema der „Gewaltfrage“ in der anarchistischen Szene oftmals emotionale und häufig auch verkürzte Debatten. Einige wollen sich (verständlicherweise) nicht auf die Scheinheiligkeit jener Moral einlassen, die eine selbst höchst gewaltsame, repressive und militarisierte Einrichtung wie den Staat als „Friedensstifter“ legitimiert und gutheißt, gleichzeitig jedoch ausgerechnet den wenigen AnarchistInnen aufgrund deren behaupteter Gewalttätigkeit jede Grausamkeit zutraut und sich darüber entrüstet. Sie halten Diskussionen unter diesen Vorzeichen für irrelevant, scheinheilig und verlogen. (3) Andere sehen unter bestimmten Umständen gewaltsamen Widerstand wahlweise als berechtigt, effektiver beziehungsweise als „notwendiges Übel“ an. Und wieder andere, wenn auch nur recht wenige, streben gewaltsame Aktionen dezidiert an. Gewaltfreie AnarchistInnen halten dem in der Regel entgegen, dass Fragen der Taktik, der Kampfformen und mit welchen Mitteln AnarchistInnen für ihre Ziele kämpfen, niemals irrelevant sein können und dürfen und die gewaltfreie Aktion aufgrund vielerlei Argumente der zu präferierende Modus Operandi von AnarchistInnen sein sollte.

In vielen dieser Debatten wird auch häufig übersehen, dass, bei aller Wichtigkeit von Fragen der Mittel, die Kritik gewaltfreier AnarchistInnen sich keineswegs in der Frage „Sollen wir Gewalt anwenden oder nicht?“ erschöpft. Sie ist keine negative Kritik, die Gewalt schlicht ablehnt, ohne dabei eine sie ersetzende Alternative vorzuschlagen. Gewaltfrei-anarchistische Praxis bleibt nicht einfach an dem Punkt stehen, an dem es potentiell zur Gewalt kommt, ihre Analyse nicht bei dem Für und Wider direkter, physischer Gewalt. Die Argumentation hat drei Hauptaspekte: Gewaltkritik wird als integraler und essentieller Bestandteil einer umfassenden anarchistischen Theorie und (Gesellschafts-)Kritik, Gewaltfreiheit als eine revolutionäre, aktive und subversiv-herrschaftslose Praxis und Kampfform verstanden, die viel tiefer geht und in der Aktion viel weitreichendere Alternativen anbietet, als dies einschlägige Debatten vermuten lassen. Und drittens ist praktizierte Gewaltfreiheit viel mehr als eine schlichte Entscheidung für eine bestimmte Taktik, sondern auch immer die Vorwegnahme eines konkreten Ziels, nämlich der gewaltfreien und herrschaftslosen – also anarchistischen – Gesellschaft. Johann Bauer fasste dies so zusammen: „Aber gerade vor diesem Hintergrund, dass Anarchismus immer noch mit diesem Stigma der Gewalt versehen ist, würde ich immer sagen, der Kern des Anarchismus ist eigentlich gerade Gewaltlosigkeit. Es ist eine Ordnung, die auf Freiwilligkeit beruht statt auf Zwang, die nicht per Gesetz, Dekret und Gewalt Leute zu etwas zwingen will, sondern sie versucht, freie Vereinbarung an die Stelle dieser gewalttätigen Ordnung zu setzen, Herrschaftsverhältnisse, ökonomische Ausbeutung, politische Repression zu beseitigen, und durch eine Ordnung der Solidarität, der freien Vereinbarung zu verdrängen.“ (4)

Die hier angerissenen Fragen und Aspekte gewaltfrei-anarchistischer Theorie werden im ersten Teil dieses Buches breiten Raum einnehmen. Es soll der Versuch unternommen werden, Grundlagen einer gewaltfrei-anarchistische Theorie (und folglich Praxis) abzustecken, die, gemäß dem Einführungscharakter dieser Publikation, natürlich dementsprechend prägnanter Natur sind. Die dazugehörigen bibliografischen Angaben dürfen hier als Anreiz verstanden werden, sich eingehender mit gewaltfrei-anarchistischer und gewaltfrei-revolutionärer Theorie auseinanderzusetzen.

Im zweiten Teil werden Persönlichkeiten vorgestellt, die für den gewaltfreien Anarchismus und anarchistischen Pazifismus eine bedeutende Rolle gespielt haben. Jede Strömung im Anarchismus hat „ihre“ TheoretikerInnen, AktivistInnen und Persönlichkeiten, auf die sich AnarchistInnen unterschiedlicher Couleur berufen, deren Schriften sie lesen und weiterempfehlen oder deren Leben und Wirken als Inspiration und Beispiel gelten. Jede Strömung hat auch ihre „großen Namen“, obwohl der Anarchismus zurecht eine gesunde Abneigung gegen derartiges Personalisieren von politischen Strömungen pflegt. Deshalb heißt der kommunistische Anarchismus auch nicht „Kropotkinismus“ oder der Anarchafeminismus „Goldmanismus“. Zu viele, oftmals völlig in Vergessenheit geratene oder anonym gebliebene Menschen, hatten und haben an der Entwicklung solcher Strömungen Teil, als dass es möglich oder integer wäre, diese auf eine Person zu reduzieren. Ganz im Sinne des Anarchismus wird also auch die Theoriebildung dezentralisiert – und wenn man es so betrachtet, dann ist der gewaltfreie Anarchismus wohl eine der dezentralisiertesten anarchistischen Strömungen überhaupt! Dezentralisierung bedeutet in weiterer Folge auch eine quantitative Ausweitung des Personenkreises, den es zu behandeln gilt, sowie politische Vielfalt – beides Aspekte, die in diesem Kapitel, welches Kurzporträts versammelt, evident sind. Zwar gibt es auch im gewaltfreien Anarchismus und anarchistischen Pazifismus Persönlichkeiten, die vielleicht bekannter sind als andere, aber „diese eine“ Person wie Kropotkin oder Goldman gibt es hier schlicht nicht. Und natürlich haben diese Personen, die hier als wichtig für den gewaltfreien Anarchismus angeführt werden, zu vielen unterschiedlichen Themen geschrieben und waren in unterschiedlichen Feldern aktiv. Man kann sie also thematisch nicht auf „die Gewaltfrage“ oder auf das Themenfeld „Krieg und Frieden“ festnageln oder reduzieren. Es ist ja auch, wie bereits angesprochen, eine Illusion zu glauben, dass sich „Gewaltfreie“ ausschließlich mit der „Gewaltfrage“ beschäftigten, da dieses Thema letztendlich viel weiter und tiefer geht, als oft angenommen wird. Und so spannend und anregend es war, Persönlichkeiten zu ergründen, die zur Weiterentwicklung der gewaltfrei-anarchistischen/anarchopazifistischen Idee beigetragen haben, so kann natürlich kein Anspruch auf Vollständigkeit in diesem Kapitel geltend gemacht werden. (5)

Abseits der Namen gibt es aber die nicht minder wichtige(n) Bewegung(en), bestehend aus vielen Individuen, die nicht mit Namen genannt werden können oder wollen – jene, die zum Beispiel aus unterschiedlichen Gründen nicht mit Vorträgen, Publikationen oder Zeitungsartikeln in Erscheinung treten, sondern sich der Aktion, Organisation oder dem Aktivismus verschreiben. Schon alleine deshalb ist das „name-dropping“ des zweiten Kapitels eine nicht unstrittige und vielleicht sogar problematische Angelegenheit, weil es eben in der Regel jene Menschen (häufig Frauen!) tendenziell unberücksichtigt lässt, die sich vorwiegend in eben genannten Feldern bewegen, die „unsichtbare“ Arbeit der Bewegung erledigen. Deshalb ist dieses dritte Kapitel so wichtig. Viele unterschiedliche Gruppen, Bewegungen und Organisationen zeichnen sich durch eine gewaltfrei-anarchistische Praxis aus oder sind zumindest von dieser in der einen oder anderen Form beeinflusst. In (anarchistisch beeinflussten) Protestbewegungen werden unterschiedliche Formen des gewaltfreien Widerstands und der gewaltfreien Aktion angewandt und weiterentwickelt. Von den Anfängen der anarchistischen Bewegung bis heute kann man derartige Beispiele in unterschiedlichsten Kontexten finden. Der Bogen reicht von Kampagnen der direkten gewaltfreien Aktion über Zeitungsprojekte bis hin zu Kunst und Musikgruppen.

Die Kriterien zu definieren, nach welchen man Personen beziehungsweise Gruppen/Projekte/Bewegungen/etc. auswählt, um sie in so einer Publikation vorzustellen, ist natürlich eine nicht immer leichte Angelegenheit. Der Vorwurf, dieses oder jenes wurde zu Unrecht entweder in- oder exkludiert, ist einer, dem man sich wohl aussetzen muss, konzipiert man ein Buch dieser Art. Deshalb soll hier kurz auf die Kriterien eingegangen werden, nach welchen die Auswahl getroffen wurde, wer oder was in diesem Buch Platz findet.

Was die Personen anlangt, so sind es logischerweise zuerst einmal die selbstdeklarierten gewaltfreien AnarchistInnen und anarchistischen PazifistInnen, die hier Platz finden (zum Beispiel Bart de Ligt, Clara Wichmann, Pierre Ramus, Judith Malina etc.). Dennoch gab es auch viele AnarchistInnen, die in ihrer Gewaltkritik so weit gingen, dass es selbst ohne ein explizites Bekenntnis zur Gewaltfreiheit wichtig ist, sie in diesem Kontext vorzustellen. Oft geht dies auch einher mit einem thematischen Fokus auf Fragen von Krieg und Frieden, Antimilitarismus und Kriegsdienstverweigerung – alles Themen, die häufig in einer radikalen Gewaltkritik münden. Des Weiteren gibt es auch Personen, die eher in der Tradition der gandhianisch inspirierten Friedensbewegung standen, die die gewaltfreie Aktion als „neue Widerständigkeit“ in die alte pazifistische Bewegung trugen, dies mit sozialistischen Inhalten füllten und sich so zusehends auch anarchistischen Ideen annäherten beziehungsweise diese übernahmen (zum Beispiel David Dellinger). Es wurden auch Personen aufgenommen, die sich nicht als AnarchistInnen verstanden, ihre revolutionäre Gewaltfreiheit aber mit antikapitalistischen, sozialistischen Inhalten verknüpften und so dem, was gewaltfreier Anarchismus ist, derart nahe stehen, dass es auf diese Selbstbezeichnung gar nicht mehr ankommt (zum Beispiel A.J. Muste, Henriëtte Roland Holst). Letztendlich gibt es zahlreiche Personen, die eine Verbindung von antiautoritärem Sozialismus, Anarchismus, Antimilitarismus, Pazifismus und Gewaltfreiheit in entscheidenden Phasen ihres Lebens hergestellt haben, sodass es gerechtfertigt erscheint, sie hier aufzunehmen. Die Selbstbezeichnung war also nicht das entscheidende Kriterium, sondern vielmehr die Positionen und Inhalte, die die jeweiligen Personen vertraten. Zudem wurde aus unterschiedlichen Gründen in diesem Kapitel auch ein historischer Zugang gewählt, der noch lebende Menschen ausschließt.

Ähnlich verhält es sich bei den Bewegungen/Gruppen/Projekten/etc. im dritten Kapitel. Es gab und gibt zahlreiche Beispiele aus diesem Bereich, die sich im dezidiert gewaltfrei-anarchistischen Spektrum verorten. Es ist aber auch hier so, dass ein bestimmtes Näheverhältnis (inhaltlicher und/oder personeller Natur), gewisse politische Positionen und Praxen es rechtfertigen, sie hier aufzunehmen. Damit sind Bewegungen/Gruppen/Projekte/etc. gemeint, die in ihrer Praxis und in ihrer Theorie eine substantielle anarchistische sowie gewaltfreie Dimension erkennen lassen oder in denen in bestimmtem Ausmaß gewaltfreie AnarchistInnen mitwirkten. Auch hier war, wie schon bei den Personen, die Selbstbezeichnung „gewaltfrei-anarchistisch“ oder ein dezidiertes Bekenntnis zu Anarchismus und/oder Gewaltfreiheit nicht ausschlaggebend.

Dieses Buch ist, wie der Titel bereits andeutet, auch eine Spurensuche, in der vieles, das dem gewaltfreien Anarchismus und anarchistischen Pazifismus zugerechnet werden kann, erst freigelegt und analysiert werden muss. In diesem Sinne wurde der Rahmen, wer oder was hier aufgenommen wurde, bewusst etwas breiter angelegt – nicht, um jemanden oder etwas mit einem Label zwangsbeglücken zu wollen oder zu vereinnahmen, sondern um gewaltfrei-anarchistische Inhalte aufzuspüren und diese als solche zu benennen.

Obwohl es naheliegend wäre, folgt die Darstellung nicht strikt einer chronologischen Ordnung, sondern stellt manchmal Verbindungen über Jahrhunderte und Kontinente her, die auch realen Bewegungen entsprechen. Es handelt sich um eine Einführung, die durch ihren doppelten Bezug auf Bewegungen und Personen immer wieder Querverbindungen benennt und dabei Wiederholungen nicht ganz vermeiden kann. Die Personen und Bewegungen haben voneinander gelernt, sich aneinander orientiert, einander als subversive und befreiende Erinnerung oder theoretische Bezugspunkte gesucht und gewählt. Auch die LeserInnen können so die besonders interessanten Passagen unabhängig von anderen lesen und finden weiterführende Literatur. Die unterschiedlichen Längen der diversen Abschnitte sagen zudem nicht immer etwas über die Wichtigkeit oder Bedeutung der betreffenden Person oder Bewegung aus, sind nicht als generelle Wertung zu verstehen, sondern erklären sich oftmals schlicht daraus, wie viel und wie leicht Quellenmaterial zugänglich war.

Blättert man in diesem Buch, so bemerkt man natürlich sofort die Illustrationen von Daniel Grunewald. Der Anspruch, einem sorgfältig recherchierten, mit ausreichend Quellenmaterial belegten, umfangreichen Einführungstext mittels Illustrationen mehr Leben einzuhauchen, schien uns eine spannende Sache zu sein. Grunewalds Illustrationen verleihen der gesamten Publikation eine ganz neue Qualität. Möge ein dadurch gesteigertes Lesevergnügen sich auch positiv auf gewaltfrei-anarchistische Theorie, Forschung und eine lebendige, widerständige und revolutionäre Praxis auswirken!

Anmerkungen

(1) Die Begriffe „gewaltfreier/gewaltloser Anarchismus“ und „anarchistischer Pazifismus/Anarchopazifismus“ werden hier synonym verwendet, auch, wenn kleinere Unterschiede auszumachen sind und der Autor den Begriff des „gewaltfreien Anarchismus“ präferiert. Siehe hierzu Kapitel 1.3 dieses Buches.

(2) Vgl. Woodcock 2009, 21. Für die USA siehe auch Cornell 2016.

(3) Colin Ward beispielsweise kanzelt deshalb etwa die Frage von Gewalt und Gewaltfreiheit als eine der zwei großen „Unerheblichkeiten“ der anarchistischen Bewegung ab. Ward 1996, 137.

(4) Bauer 2009, 23f.

(5) Zumeist verorteten sich die Personen und Bewegungen/Gruppen/etc., die hier vorgestellt werden, auf einer vorwiegend weltlich-humanistischen Grundlage. Manche gelangten zu ihren anarchistischen und gewaltfreien Positionen aber auch aufgrund christlicher bzw. religiöser Motive oder wurden von diesen zumindest in der einen oder anderen Weise beeinflusst. Deshalb werden auch christliche/religiöse AnarchistInnen hier inkludiert, denn, obwohl beispielsweise nicht jeder gewaltfreie Anarchismus auch ein christlicher Anarchismus ist, so ist doch christlicher Anarchismus ganz überwiegend ein gewaltfreier Anarchismus. Siehe zu diesem Thema allgemein u.a. Christoyannopoulos 2011; Kalicha 2013.

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