Otto Weidt: Anarchist und "Gerechter unter den Völkern"
Von Robert Kain
Berlin: Lukas Verlag, 2017 (Dissertation, Humbold-Universität Berlin). Gebunden, 652 Seiten, zahlr. Illustrationen. ISBN 978-3867322713.
Beschreibung:
Der Kleinfabrikant Otto Weidt (1883–1947) betrieb zu Beginn der 1940er Jahre in der Rosenthaler Straße 39 in Berlin-Mitte eine als wehrwichtig eingestufte Besenmacherwerkstatt. Seine Belegschaft bestand überwiegend aus blinden und gehörlosen Juden, die er so vor Verfolgung und Deportation zu schützen versuchte. Für seinen Einsatz wurde er 1971 posthum als »Gerechter unter den Völkern« geehrt.
Weniger bekannt ist das frühere Leben Weidts: In der Kaiserzeit war er in der anarchistischen Arbeiterbewegung aktiv und wurde von der Politischen Polizei überwacht. Den Ideen und Idealen des Anarchismus blieb er aber auch später verbunden. Zeitlebens war er ein strikter Gegner von Militarismus, Nationalismus und staatlicher Bevormundung.
Robert Kain nähert sich zunächst dem Anarchisten Weidt und zeichnet ein detailliertes Bild der anarchistischen Bewegung zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Anschließend untersucht er die Zeit zwischen dem Ersten Weltkrieg und der Eröffnung der »Blindenwerkstatt Otto Weidt«. Der Autor behandelt hier neben Weidts Militärdienst, Ehen und Scheidungen auch dessen Erblindung um 1924 und den daraus resultierenden Weg zum Bürstenmacher. Die umfangreichsten Kapitel widmen sich natürlich detailliert dem aufopferungsvollen Einsatz von Otto Weidt für jüdische Mitmenschen und wie er sich dabei in einem weit verzweigten Hilfsnetzwerk für NS-Verfolgte bewegte.
Abschließend befasst sich die fundamentale Arbeit mit der Rolle der Blindenwerkstatt in der Nachkriegszeit, Otto Weidts Engagement für die Instandsetzung eines Alten- und Kinderheims der Jüdischen Gemeinde in Niederschönhausen und der Wahrnehmung und Würdigung seiner Person nach 1945. Ein biographischer Anhang gibt Auskunft über viele in der »Blindenwerkstatt Otto Weidt« einst Beschäftigte.
Einleitung [II]
Otto Weidt - der "unbekannte" Anarchist [34]
Die jungen Jahre. Kindheit, Jugend und Familie [34]
Weidts Weg in den Politischen Anarchismus [45]
- Einführend. Anarchismus und Staatliche (Anti-)Anarchistenpolitik (45]
- Erste Kontakte. Der Hamburger Anarchistenklub "Simplicissimus" [56]
- Weidt und die Berliner Anarchisten [59]
- Otto Weidt und die Berliner Gruppierung "Anarchist" [64]
- "Der Anarchist" unter der Leitung Weidts [66]
- "Revolutionsstürme". Ein Prozess wegen Pressvergehens gegen Otto Weidt [72]
- Die Spaltung der "Ostgruppe" [77]
- Die "Vereinigung der Anarchisten Berlins und Umgegend" [78]
- Der "Anarchistische Agitationsverein für Berlin und Umgegend" [80]
- Der "Verein der Föderierten Anarchisten Berlins und Umgegend" [82]
Verhandlungen über eine "Einigung" unter den Berliner Anarchisten [84]
Die 5. Konferenz der "Anarchistischen Föderation Deutschlands" [88]
- "Katz-und-Maus"-Spiel mit der Polizei [88]
- Die inhaltlichen Beratungen der Konferenz [92]
- Nachspiel. Polizei-Willkür und ein Massenprozess in Mannheim [100]
- Die "Russische Föderation der revolutionären Anarchisten" und russländische Studierende in Berlin [108]
- "Geheimbündelei". Ein Prozess gegen Otto Weidt und Werner Karfunkelstein [118]
- Der Bruch der Gruppierung "Anarchist" mit Otto Weidt [123]
- Das "Internationale Anarchistische Büro" und die Berliner Genossen [130]
- Die Affäre "Boinville" [134]
- Zentralisierung? Die anarchistischen Gruppierungen im Jahr 1908 [142]
- Otto Weidts Begegnung mit Pierre Ramus [150]
- Pläne für eine neue "Freie Generation" [154]
- Selbstreflexion und -erkenntnis [162]
- Bruch mit den "schwachen blöden Scharen". Weidts Rückzug aus dem organisierten Anarchismus [168]
Vom Ersten Weltkrieg bis zur Eröffnung der Blindenwerkstatt Otto Weidt [I76]
Neubeginn. Otto Weidt wird "bürgerlich" [176]
- Familiengründung [176]
- Militärdienst im Ersten Weltkrieg [179]
- Die Nachkriegsjahre [184]
- Weidts "praktische Erblindung" [192]
- Ausbildung im Blindenhandwerk [196]
- Das Bürstenmacherhandwerk im Wirtschaftsgefüge des NS-Staats [202]
- Das Blindenhandwerk in der zweiten Hälfte der 1930er Jahre [206]
- Gewerbliche Selbständigkeit Otto Weidts [212]
- Werkstattgründer: Otto Weidt und Gustav Kremmert [215]
- Das Blindenhandwerk zu Beginn des Zweiten Weltkriegs [223]
- Die Blindenwerkstatt Weidt zu Beginn des Zweiten Weltkriegs [225]
Menschen jüdischer Herkunft im Nationalsozialismus [232]
- Die Verfolgung der Juden in Berlin. Ein Überblick [232]
- Blinde Juden im Nationalsozialismus [242]
- Die Voraussetzungen für die Zwangsarbeiterzuweisung [245]
- Weidts erste jüdische Zwangsarbeiter [249]
- Die "Zentrale Dienststelle für Juden" der Arbeitsverwaltung [252]
- Die Blindenwerkstatt Weidt vor dem Beginn der Deportationen [258]
- Erste Deportationen jüdischer Angestellter Otto Weidts [263]
- Robert Gero. Ein jüdischer Wiener "Sonderordner" als Hinweisgeber Otto Weidts [270]
- Die "Fabrik-Aktion" und die Blindenwerkstatt [272]
- Die Blindenwerkstatt Weidt. Flucht in die "Illegalität" [280]
- Untergetaucht: Lucie Ballhorn [280]
- Untergetaucht: Inge und Ella Deutschkron [281]
- Untergetaucht: Die Familie Chaim Horn [285]
- Untergetaucht: Erich und Elsbeth Frey [289]
- Untergetaucht: Annelies und Marianne Bernstein [293]
- Untergetaucht: Gusti und Helene Jassy [294]
- Untergetaucht: Grete Seelig und Lucie Ballhorn [295]
- Die Gestapo und das Versteck "Alexanderstraße 5" [296]
- Hilfe für Inge Deutschkron [299]
- Hedwig Porschütz vor dem Berliner Sondergericht III [300]
- Helfer: Karl Wilhelm Deibel [304]
- Die Gruppe "Freisingerstraße 2" [308]
- Karl Deibels Dienstverpflichtung beim Luftgaukommando III [312]
- Verfolgt: Eva Dimenstein [314]
- Der Beginn der Kooperation zwischen Otto Weidt und Karl Deibel [315]
- Helfer: Emma Trostler und Paul Bodenstein [318]
- Untergetaucht: Leo Seelig [321]
- Untergetaucht: Rudi Rosenow, Rachil und Henny Haar [326]
- Untergetaucht: Hermann Deutsch und Hans Blach [331]
- Untergetaucht: Alfred Leyser [337]
- Untergetaucht: Edith Oppenheim und das Ehepaar Margarete und Hermann Rachmann [339]
- Der Verrat des Verstecks "Großbeerenstraße 92" [341]
- Nach dem Verrat. Das Versteck, seine Helfer und deren weiteres Schicksal [347]
- Untergetaucht: Käthe, Gustav und Alice Licht [357]
- Helfer: Dr. Gustav und Irma Held [359]
- Helfer: Dr. Max Dietrich [364]
- Die "Widerstandsgruppe Stadtbibliothek" [370]
- Die "Arbeitsgemeinschaft für notleidende Juden" [371]
- Helfer: Karl Gustav August Urbain [375]
- Helfer: Paul Happach [377]
- Verfolgt: Das Ehepaar Erna und Gottfried Haney [379]
- Helfer: Erik Perwe und Erik Myrgren [381]
- Helfer und Verfolgte: Werner und Gertrud Scharff [386]
- Verfolgt: Alexander, Sophia, Hermann und Dorothea Rothholz [391]
- Die "Gemeinschaft für Frieden und Aufbau" [395]
Weitere Helfer und Unterstützer [409]
- Helferin: Clara Nathansohn [409]
- Helfer: Beamte des Polizeireviers 16 [413]
Gestapo-Razzia in der Blindenwerkstatt [418]
- Die Festnahme von Lucie Ballhorn [418]
- Der Verrat der Blindenwerkstatt [420]
- Festnahmen in der Blindenwerkstatt [423]
- Die in der Blindenwerkstatt operierenden Gestapo-Angehörigen [428]
- Das Datum der Gestapo-Razzia [430]
- Otto Weidts Einsatz für Alice Licht [432]
- Repressalien gegen Otto Weidt [436]
- Folgen der Gestapo-Razzia [442]
- Neue Zwangsarbeiter in der Blindenwerkstatt [444]
- Paketsendungen nach Theresienstadt [448]
- Weidts Suche nach Alice Licht [455]
- Flucht aus Christianstadt [463]
Die Blindenwerkstatt in den Jahren 1945 bis 1947 [470]
Weidts Engagement für NS-Verfolgte in den Nachkriegsjahren [476]
Die späten Jahre. Krankheiten und der Tod Otto Weidts [483]
- "Ich habe mein Leben so gelebt, wie ich es wollte ..." [483]
- Der Niedergang der Blindenwerkstatt nach dem Tod Otto Weidts [489]
Der Judenretter Otto Weidt. Ein Plädoyer gegen eine individualistische Rettungswiderstandstheorie [502]
Anhang
- Biographische Notizen zu Mitarbeitern Otto Weidts (1939-1945) [530]
- Abkürzungsverzeichnis [578]
- Quellen- und Literaturverzeichnis [581]
- Abbildungsnachweis [639]
- Danksagung [640]
Diesen Artikel haben wir am 10.02.2018 in unseren Katalog aufgenommen.