Ausgeschert aus Reih' und Glied
Mein Leben als Bücherfreund und Anarchist
Von Kurt Wafner
Lich: Verlag Edition AV, 2001. Paperback, 240 Seiten. ISBN 978-3980640787.
Beschreibung:
Bücher waren seine ersten Freunde. Als er dreizehn war, kamen andere dazu: die Gefährten der anarchistischen Jugen. Bücher wurden Bausteine für seine Weltanschauung, anarchistische Theoretiker seine Wegweiser. Mit Ersnt Friedrich traf er in dessen Anti-Kriegsmuseum zusammen: mit Erich Mühsam saß er am Tisch und lauschte seinen ergreifenden Worten.
Kurt Wafner (25.11.1918 - 10.03.2007) hat vier Staatsformen erlebt - die "Golden Zwanziger", den brauen Terror, die rote Diktatur und ide heute etwas windschiefe Demokratie - aber keine konnte ihn dazu bringen, ihr zuzujubeln. Geriet er unter Zwang, drängte es ihn auszuscheren aus reih und Glied.
In diesem Buch breitet Wafner schonungslos sein Leben vor uns aus, das so gar nicht glattgebügeltes Leben eines Querdenkers. Nach einer ziemlich sorgenfreien Kindheit in seinem "Schlaraffenland" Weißensee geriet er ins Fadenkreuz der Nazis. Man schmiss ihn aus der Schule, die vorher den Namen Karl Marx trug; man zwang ihn in den Rock eines Wehrmachtsoldaten und ließ ihn in der Todesstadt Minsk die Mordtaten der deutschen Herrenmenschen miterleben. Nach dem Krieg studierte er Bibliothekar. er wurde Buchleiter, später Verlagslektor, Chef der "Roman-Zeitung", Buchredakteur, und stieg dann in die Journalistik - als Illustrieten-Redakteur, nebenbei Buchrezensent und Hörspielautor. Aber er spürte bald: auch in der Stalin-Ära gab es keine Schonzeit für Querdenker.
Wafner wusste: wollte er im Osten Berlins überleben, musste er stets den Zensor im Kopf behalten.
Das Buch ist spannend und erweckt Anteilnahme. Wer wissen will, wie ein Berlin Anarchist, der das Leben und die Liebe liebt und dennoch das Fürchten lernen musste, die Zeitgeschichte durchstanden hat, der mag ihn auf seinen Lebenserinnerungen begleiten - von Schauplatz zu Schauplatz - zu einer beträchtlichen Anzahl von Menschen, Büchern, Emotionen.
Kurt Wafner - Der Aufrechte Gang durch die Diktaturen
Den deutschen AnarchistInnnen fehlte es immer an lebendiger Geschichte. Regelmäßig erschienen zwar Klassiker, aber Geschichte, die von GenossInnen an die Jungen weitergetragen wurde ist spärlich vorhanden. Um so wichtiger erscheint mir, die jetzt im Herbst erscheinende Biographie des Ost-Berliner Anarchisten Kurt Wafner, der in den Tagen der November-Revolution am 29.11.1918 in der Frankfurter Allee geboren wurde. Ursprünglich hieß er mit Nachnamen Wawrzyniak und seine Vorfahren waren eine Mischung aus polnischem Landadel und französischen Emigranten, den Hugenotten. Sein Vater stirbt früh, 1923, und seine Mutter versucht sich selbst durchzuschlagen. Sein "Weltbürger"-Onkel Bernard, der Mitglied der "Anarchistischen Vereinigung Weißensee" brachte dem Jungen Kurt die Anarchie nahe, und so beginnt Kurt Wafner bereits mit 13 Jahren die anarchistischen Klassiker zu lesen. Wafner lernte in diesem bewegten Berlin noch Persönlichkeiten wie Erich Mühsam, Ernst Friedrich, Theodor Plivier und Rudolf Michaelis kennen.
Das Nazi-Deutschland überlebte er als "Schwejk", und jene Dame in der Stadtbücherei, die ihn kurz nach 1933 noch mit Strenge den Hitlergruß abrang, wurde zu DDR-Zeiten seine Vorgesetzte, als er dort den Bibliothekarsberuf ausübte. Danach folgten noch Berufe wie Verlagslektor, Chef der "Roman-Zeitung", Hörspielautor, Journalist u.a. Als Anarchist und Anti-Militarist war sein aufrechter Gang nur all zu oft eine Tortur, und er geht in seinen Erinnerungen nicht zimperlich mit sich selbst um, es gibt nichts zu beschönigen, und einiges liest sich sicherlich etwas hilflos, doch es lohnt sich in jedem Fall die Lebenserfahrungen dieses Mannes nachzulesen.
Geschichte kann durchaus spannend sein.
Jochen Knoblauch in graswurzelrevolution, Nr. 262 (Okt. 2001)
Diesen Artikel haben wir am 31.01.2016 in unseren Katalog aufgenommen.