Sozialismus als Kulturbewegung
Frühsozialistische Arbeiterbewegung und das Entstehen zweier feindlicher Brüder: Marxismus und Anarchismus
Von Petra Weber
Düsseldorf: Droste Verlag, 1989 (= Beiträge zur Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien; 86). Leinen, 545 Seiten. ISBN: 9783770051526
Frühsozialismus und Anarchismus, durch die Autorität des Marxismus als rückschrittlich und reaktionär abqualifiziert, wurden ungeachtet ihrer großen Bedeutung für die Entwicklung der Arbeiterbewegung von der historischen Forschung wie Stiefkinder behandelt. In dieser auf historischer Grundlagenforschung basierenden Untersuchung wird erstmals der geistes- und sozialgeschichtliche Zusammenhang zwischen Frühsozialismus und Anarchismus und die sich Mitte der vierziger Jahre vollziehende Auseinanderentwicklung von Marxismus und Anarchismus auf breiter Quellenbasis umfassend dargestellt.
Das Werk zeigt die Geburt des Sozialismus aus der Idee einer solidarischen Kultur der Arbeit, die in der frühen Arbeiterbewegung zur Grundlage einer autonomen Arbeiterbewegung und eines autonomen Arbeiterbewusstseins wird. Während der Marxismus den Durchgang durch das "Kaudinische Joch“ des Kapitalismus zur Voraussetzung des Sozialismus erklärt, versucht der Anarchismus in Weiterführung der kulturkritischen Ideen des Frühsozialismus diesem autonomen Arbeitersozialismus eine theoretische Fundierung zu geben.
Der Nachweis, dass die heute vieldiskutierte Kontroverse zwischen Industriesozialismus und Ökosozialismus bereits die sozialistische Bewegung des 19. Jahrhunderts spaltete, macht die Arbeit, die eine geistes- und sozialgeschichtliche Ortsbestimmung auf breiter Quellenbasis unternimmt, nicht nur für den Historiker interessant, sondern gibt ihr auch aktuelle Bedeutung.
Vorwort [5]
Verzeichnis der Abkürzungen [11]
Einleitung
1. Das Verhältnis von Frühsozialismus, Marxismus und Anarchismus: Ein Forschungsdefizit der Sozialwissenschaften [13]
2. Forschungsziel und Fragestellung [25]
Erster Teil:
Frühsozialismus und Anarchismus als Kulturbewegung
Erstes Kapitel
Von der Brüderlichkeit zur Solidarität: Die Entwicklung des Frühsozialismus als Kulturbewegung
1. Assoziation als Antwort auf die Auflösung der societas civilis in die bürgerliche Wirtschaftsgesellschaft [31]
- a) Zwischen Vergangenheit und Zukunft: Das moralisch-geistige Vakuum der nachrevolutionären Gesellschaft [31]
- b) Das Entstehen der frühsozialistischen Arbeiterbewegung: Assoziation als moderne Form der Gesellenbruderschaft [36]
2. Die frühsozialistische Assoziationsidee als Geburtsstätte einer solidarischen Kultur der Arbeit [43]
- a) Saint-Simons universelle Assoziation der Produzenten als moderne Verwirklichung des christlichen Gebots der Brüderlichkeit [43]
"Quel est le moyen de terminer complètement la crise actuelle?" [43]
"Un bon contrat social": Brüderlichkeit und "industrialisme" [52] - b) Der romantische "industrialisme": Die universelle Assoziation der Saint-Simonisten im Spannungsfeld von moderner Industriegesellschaft und theokratischer Liebesordnung [61]
Die Liberalismuskritik der Saint-Simonisten [61]
Die Assoziation der Saint-Simonisten als "Licht- und Humanwert der Gebundenheit" [68] - c) Fouriers Ordnung der Phalangen - eine kunstvolle Ordnung menschlicher Beziehungen [77]
Archaik und Modernität im Denken Fouriers: Radikale Kulturkritik als radikale Emanzipation des Menschen [77]
"Ligues passionnées" als Keimzelle einer neuen sozialen Ordnung [88] - d) Der jakobinische Sozialismus: Die urchristliche Brüderlichkeitsidee als Grundlage eines progressiven Republikanismus [105]
Pierre Leroux: Solidarität als moderne Version von "charité" 107]
Etienne Cabets Voyage en Icarie: Brüderlichkeit und "Ökonomie des ganzen Hauses" [120]
"Le socialisme - c'est PEvangile en action": Louis Blancs Organisation du travail [133]
Zweites Kapitel
Die Ausgangsähnlichkeit zwischen Frühsozialismus, Anarchismus und Marxismus: Die sozialistische Einheit der Vormärzzeit und ihr Zerbrechen Mitte der vierziger Jahre [143]
Drittes Kapitel
Kultursozialismus und solidarische Praxis der Arbeiterbewegung: Das frühsozialistische Erbe des Anarchismus
1. Der Anarchismus - das "schwarze Schaf" in der Familie des Sozialismus? Die Bedeutung der anarchistischen Bewegung innerhalb der Arbeiterbewegung der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts [160]
2. Die Reformulierung der frühsozialistischen Assoziationsidee im Anarchismus [186]
- a) Die Geburt des Anarchismus als "philosophie populaire" bei Proudhon [186]
Proudhon - "wahrer" Schüler Fouriers und Saint-Simons? [186]
Sozialismus als "idée ouvriere": Mutualismus und Heroismus der Arbeit als Grundlage einer "sociéte travailleuse" bei Proudhon [196] - b) Vom humanistischen Idealismus zum "socialisme instinctif": Bakunins Anarchismus und seine Auseinandersetzung mit dem Marxismus [210]
Die Überwindung der "Hegelei" durch den Frühsozialismus: Bakunins geistige Entwicklung in den vierziger Jahren [210]
"Socialisme scientifique" oder "socialisme instinctif": Bakunins Hoffnung auf einen autonomen Arbeitersozialismus als Keimzelle einer zukünftigen Gesellschaft [221] - c) "Wissenschaftlicher und utopischer Sozialismus": Kropotkins Rehabilitierung des Frühsozialismus gegenüber dem Marxismus [237]
"Der Sozialismus und die Sozialdemokratie" [237]
Das "konstruktive Genie der Massen" [248]
Zweiter Teil:
Industriesozialismus oder genossenschaftliche Alternativökonomie: Die Assoziation der Produzenten im Spannungsfeld zwischen bürgerlicher Nationalökonomie und vorindustrieller "moral economy"
Viertes Kapitel
1. "Industrialisme" versus "Ökosozialismus": Saint-Simons Vision der Gesellschaft als Werkstatt und Fouriers Utopie der "association domestique-agricole" [269]
2. Handwerksökonomie oder automatische Fabrik: Die Auseinandersetzung zwischen Marx und Proudhon um den Charakter einer zukünftigen Produktionsordnung [289]
3. Kropotkins Kritik an der Konzentrationstheorie der Sozialdemokratie: Das Industriedorf zwischen Agrarromantik und einem Modell bedürfnisgerechter Technik [309]
Dritter Teil:
"Eine neue wirtschaftliche Form der Gesellschaft kann sich niemals entwickeln ohne eine neue politische Form": Kommunalsozialismus als Alternative zum bürokratischen Anstaltsstaat?
Fünftes Kapitel
1. Klassenstaat und Bonapartismus als realhistorischer Hintergrund der anarchistischen und marxistischen Staatstheorie [327]
2. Staatszentralisation als Motor der Revolution oder als Sozialdisziplinierung: Die unterschiedliche Beurteilung des modernen Staates im Marxismus und Anarchismus [337]
3. Die Bedeutung der Nation und der Nationalitäten im Denken von Marxismus und Anarchismus [352]
4. "Gerade in der Staatsfrage sind die Sozialisten uneinig": Die Auseinandersetzung der Anarchisten mit sozialstaatlichen und staatssozialistischen Sozialismuskonzepten - eine frühe Kritik des Sozialetatismus [362]
5. "Absterben" oder "Abschaffung" des Staates: Zur Frage der Aufhebung politischer Herrschaft im Anarchismus und Marxismus [382]
6. Anarchismus als "großgeschriebene Freiheit": Zum Verhältnis von Anarchismus und Liberalismus [408]
Vierter Teil:
"Revolutionäre Ungeduld" oder "revolutionärer Attentismus": Eine vergleichende Analyse der Revolutionsauffassungen und revolutionären Strategien von Anarchismus und Marxismus
Sechstes Kapitel
1. Das revolutionäre Selbstverständnis von Anarchismus und Marxismus im Spiegel ihrer Interpretation des revolutionären Frankreich [423]
2. "Action directe" oder "Revolution durch den Stimmzettel": Die]
anarchistische Ablehnung parlamentarischer "Kompromißpolitik" und die Idee des revolutionären Syndikalismus [454]
3. Intellektuelle und Arbeiterbewegung: Zur Rolle der Geheimgesellschaften im Anarchismus [479]
Schluß: Sozialismus als Kulturbewegung im Spannungsfeld von bürgerlicher Hegemonialkultur und autonomer Arbeiterkultur [494]
ANHANG:
Quellen- und Literaturverzeichnis
- A. Ungedruckte Quellen [509]
- B. Quellen und Literatur [509]
Register [541]
Diesen Artikel haben wir am 01.08.2011 in unseren Katalog aufgenommen.